So sieht einer aus, der 9 Monate in der Terrorgefangenschaft des IS saß. Der nordsyrische Journalist Masoud Aqil, mittlerweile 24, fuhr eines Morgens mit einem Kollegen zum Drehen, als Maskierte mit Maschinengewehren ihren Wagen stoppten und beide vor ihre Schariarichter verschleppten. 280 Tage Folter, Drohungen, Todesangst - darüber berichtet er in seinem wichtigen und bewegenden Buch "Mitten unter uns" (Europaverlag). Und über seine lebensgefährliche Flucht nach Deutschland, über die schockierende Entdeckung deutscher Facebookproile von IS-Terroristen, über die notwendige Zusammenarbeit von Flüchtlingen mit den deutschen Behörden.
Ich habe den beeindruckenden, charmant lächelnden, verdammt mutigen jungen Mann für "titel thesen temperamente" interviewt. Der Beitrag läuft heute abend und steht dann (hier klicken!) in der ARD-Mediathek. Hier seine wichtigsten Aussagen.
Über seine Mithäftlinge und die schwersten Momente:
"Ich habe all die 280 Tage in meinem Kopf. Eines der schwersten Dinge, die es für mich gibt, ist - ich werde meinen Kollegen Farhad Hamo nicht vergessen. Wir waren ein Team. Ich wurde durch einen Gefangenenaustausch der kurdischen Streitkräfte befreit, aber leider wissen wir nicht das Geringste von meinem Kollegen, ob er noch da ist. (Die Worte fallen ihm immer schwerer.) Ich weiß nicht, wie ich diesen Moment beschreiben soll (er sucht nach Worten, stammelt), aber es ist..."
"Es gab einen anderen MItgefangenen, Hagi Issa, dieser junge Mann steht für mich stellvertretend für alle IS-Gefangenen. Er war ein starker Junge, der nicht nur ein Zellenkamerad war, sondern ein Bruder für mich... Er hatte nicht das Glück, einen Austausch zu bekommen. Monate später, nachdem ich nach Deutschland geflohen war, sah ich im Internet ein Video von einer Hinrichtung von fünf Kurden. Sofort erkannte ich, dass es fünf Mitgefangene von mir waren. Das war der schwerste Moment für mein Herz, es hat mich sehr niedergeschlagen. (Sehr schmerzvolle Gesichtszüge.) Zu sehen, wie sie hingerichtet wurden. Während ich in einem sicheren Land bin. Ich war mit ihnen in der Zelle. Ich klagte mich an: Wie kann es sein, dass ich in Sicherheit und Freiheit bin? Warum haben sie nicht das gleiche Schicksal wie ich? Warum sind sie nicht am Leben?"
"Ich denke nicht jeden Tag an sie, das wäre gelogen, aber ich trage sie immer mit mir herum, erinnere mich an die Worte, die wir gesprochen haben. (Er schluckt mehrfach, macht ein schmerzliches Gesicht.) Ich erinnere mich an die letzten Momente mit ihnen zusammen. Ich sehe ihre Augen vor mir, bevor sie getötet wurden. Diese Dinge mit mir herumzutragen (Pause), ist schwer, aber (er blickt weg, sagt langsam) was kann ich tun?"
Über Folter und Todesangst:
"Ich bin durch viele harte Momente gegangen, aber einer der härtesten war, als sie in der ersten Woche schrien, dass sie uns zu einem öffentlichen Platz schicken würden, um uns dort zu enthaupten. Wobei sie die Messer auf unsere Nacken setzten. Da am Anfang war ich geschockt. Später, nach hundert Tagen Gefangenschaft, in denen sie das Tag für Tag gemacht haben, war ich an diese Dinge gewöhnt. Ich begriff, dass das ein Stück der IS-Ideologie ist, immer zu drohen, die Hand, das Bein oder den Kopf abzuschneiden, ohne irgendeinen Grund. Ich erreichte ein gewisses Stadium, in dem ich mir sagte: Wenn sie es tun, werden sie es tun. Später waren die harten Momente die Foltermomente. Sie haben dieselben Foltermethoden verwendet, die in den syrischen Gefängnissen verwendet werden. Sie haben sie dort gelernt. Das Foltern gehört im Nahen Osten dazu. Sie betrachten mich als ihren Feind, und ich bin ihr Feind, also foltern sie mich, das ist normal."
Über IS-Mitglieder im Gefängnis und die Attraktivität von ISIS für westliche Menschen:
"Wir waren mit ihnen die ganze Zeit zusammen in einer Zelle, manchmal auch ich allein, ein IS-Mitglied und ich. Ich nutzte die Zeit, um Fragen zu stellen, um ihre Aussagen mit dem zu vergleichen, was man sich außerhalb über ISIS erzählt. Und ich fand in dieser Zeit heraus, dass IS das benutzt, was man über sie sagt."
"Diejenigen, die dem IS am meisten geholfen haben und die größte Propaganda für sie gemacht haben, waren leider die westlichen Medien. Denn der IS war immer stolz auf das, was die westlichen Medien über sie berichtet haben. Die Medien haben es vielleicht nicht begriffen, aber sie haben den IS als Helden dargesellt. Der IS hat die Berichterstattung immer auf den Smartphones verfolgt und in seinen Städten verbreitet. Die englischen, amerikanischen, französischen und deutschen Fernsehsender haben die Hinrichtungsvideos veröffentlicht, und all diese Veröffentlichungen zeigten den IS als starke Macht. Und das ist der Grund, warum Tausende zu Dschihadisten geworden sind und von Europa nach Syrien gezogen sind. Das war sehr schockierend für mich. Die Medien zeigen ISIS als eine gut organisierte Macht, als Staat, aber das sind sie nie gewesen. ... Sie sind viel schwächer. Sie sind viel größere Feiglinge. Alles, was sie tun können, ist Schrecken zu verbreiten. Wenn die Leute Angst vor ihnen haben, freuen sie sich darüber. Ich hoffe, dass die westlichen Medien das eines Tages begreifen und keine Videos von ihnen veröffentlichen, die sie stark zeigen. ... Ich wusste all das über ISIS auch nicht, hielt sie auch für gefährlich. Aber weil ich die Erfahrung habe, mit ihnen zu leben und mit ihnen als Gefangenen in einer Zelle zu schlafen, wobei ich Stunden lang mit ihnen sprach, über Tage hinweg, weiß ich genau, was ihnen gefällt und wovor sie Angst haben. ... Sie versuchen die ganze Zeit so zu sein, wie man sie in den Videos sieht. Aber so sind sie nicht. Sie leben in Chaos, nicht organisiert. Sie versuchen zu zeigen, dass sie nach den islamischen Regeln leben und ein Staat sind, aber in der Realität sind das alles Lügen. ... Heute, nach meiner Erfahrung mit ihnen, betrachte ich sie als vereinzelte Gangster, eine Art Mafia, eine islamisch-radikale Mafia. Jedermann, der sonst in der Gesellschaft ein Nichts ist, kann in dieser Mafia eine Rolle für sich finden, kann sich den anderen als jemand darstellen, der dem IS loyal gegenüber ist."
"Diese jungen Leute sind idiotische kriminelle Verrückte. Wenn sie gefangen genommen werden, sagen sie immer, dass sie alles bereuen und blablabla. Ich glaube ihnen kein Wort. Ich kenne die IS-Einstellung. Lügen ist für sie etwas Gutes. Diese radikalen Islamisten benutzen Lügen in ihrer Religion, um das eigene Leben zu retten. ... Leider glauben ihnen die Regierungen manchmal. Doch sie sollten von der Gesellschaft ferngehalten werden. Sie sind Zeitbomben und sehr gefährlich. Ich könnte mir niemals vorstellen, neben jemandem in einem Haus zu leben, der aus Syrien kommt und dort mit denen gekämpft hat, die Menschen enthaupten. Ich könnte ihn niemals als normalen Menschen betrachten. Solche Leute sollten von der Gesellschaft entfernt werden, da sie Einfluss haben. Sie sind wie Viren. Das Problem, das wir in der arabischen Welt mit dem Radikalismus haben, ist ein Virus. Und wenn wir sie haben, werden sie Einfluss zu nehmen versuchen. ... Die Toleranz hier gegen radikale Organisationen ist ein Problem. Niemand sollte hier tolerant ihnen gegenüber sein. ... Wenn man ihnen gegenüber tolerant ist , macht mir das Angst, denn diese radikalen Organisationen benutzen unsere Toleranz, um ihr Gift immer weiter in der Gesellschaft zu verbreiten."
Über IS-Gefährder unter Flüchtingen und die Mithilfe von Flüchtlingen bei ihrer Verfolgung:
"Ich weiß, es war keine einfache Sache für Deutschland, fast eine Million Flüchtlinge aufzunehmen. Es ist ein Problem für die Regierung und die Menschen, aber auch für die Flüchtlinge. Wenn wir alle zwei, drei Monate von einem Flüchtling hören, der ein potentieller Terrorist ist, verletzt mich das sehr. Die Menschen denken, dass ich auch so einer bin. Das empfinden alle Flüchtlinge so."
"Ja, ich habe sie auf Facebook und Twitter entdeckt. Ich bin bestimmt nicht der einzige, aber ich habe mich getraut, darüber zu sprechen. Wer auch immer arabisch lesen kann, kann im Internet entdecken, wieviel gefährliche Leute in den letzten zwei Jahren nach Deutschland gekommen sind. Sie publizieren unentwegt radikale Gedanken und unterstützen offen ISIS-Mitgleider oder andere radikale Organisationen. Ich begann also diese Leute zu verfolgen. Ich wollte meine Erfahrungen aus dem Gefängnis vergleichen mit dem, was nun geschah. Wenn ich die IS-Anführer hörte, dass sie Dschihadisten nach Europa, Deutschland, Belgien oder Frankreich, senden wollten, hielt ich das nicht für real. ... Aber als ich dann hier war und auf Facebook und Twitter diese gefährlichen Leute entdeckte, begann ich Informationen über sie zu sammeln. ... So konnte ich eine Datensammlung über potentielle Gefährder zusammenzustellen. Ich wünschte, jeder, der Zugang zu solchen Informationen hat, würde es tun. ... Denn wir sollten eine aktive Rolle dabei spiele, das Land und die Gemeinschaft zu sichern. Jeder Flüchtling, der aus seinem eigenen Land in ein anderes geflohen ist, hat die offensichtliche Entcheidung getroffen, dass er dieses neue Land als zweite Heimat ansieht. So wie jeder von uns die Verantwortung hat, sein eigenes Heimatland zu schützen, sollten wir dies in Bezug auf diese zweite Heimat auch so sehen. Von daher habe ich mich dazu entschieden, meine gesammelten Beobachtungen mit den Behörden zu teilen. ... Ich denke, dass jeder Flüchtling das tun sollte. 30 Prozent der Flüchtlinge haben vermutlich jemanden Gefährlichen und Radikalen wieder erkannt. Jeder muss seinen Teil dazu beitragen, etwas gegen Radikalismus zu tun."